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Was vielen Markteilnehmern nicht bewusst ist: das UWG enthält mehrere Straftatbestände, u.a. den der „Strafbaren Werbung“

§ 16 Strafbare Werbung

 (1) Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

OLG Naumburg v 18.11.2009: Die zur Teilnahme an dem progressiven Vertriebssystem geworbenen Personen unterfallen nicht dem eng auszulegenden Begriff des Verbrauchers nach § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 2 UWG, § 13 BGB. Durch ihre auf den Aufbau eines selbständigen, gewinnorientierten Gewerbes ausgerichtete Zielsetzung erhielten die Geworbenen den die Verbrauchereigenschaft ausschließenden Status von Existenzgründern.

 

Das OLG Naumburg (Beschluss vom 18.11.2009 – 1 Ws 673/09) hat entschieden:

Die für die Anordnung des dinglichen Arrestes gemäß §§ 111b Abs. 2, Abs. 5, 111dAbs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO erforderliche Voraussetzung des Verfalls von Wertersatz gemäß §§ 73a S. 1, 73Abs. 1 S. 1 StGB scheidet hinsichtlich der für das progressive Vertriebssystem der Fa. P. und der Fa. M. GmbH werbenden Angeklagten mangels hinreichenden Tatverdachts einer rechtswidrigen Tat aus.

 

Die zur Teilnahme an dem progressiven Vertriebssystem geworbenen Personen unterfallen nicht dem eng auszulegenden Begriff des Verbrauchers nach § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 2 UWG, § 13 BGB. Durch ihre auf den Aufbau eines selbständigen, gewinnorientierten Gewerbes ausgerichtete Zielsetzung erhielten die Geworbenen den die Verbrauchereigenschaft ausschließenden Status von Existenzgründern.

(Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 09. Dezember 2008 – 2 Ws 312/08)

 

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Halle führt gegen die Beschuldigte unter der Geschäftsnummer 927 Js 18557/06 ein Ermittlungsverfahren wegen strafbarer Werbung gemäß § 16 Abs. 2 UWG. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Halle (Saale) am 7. April 2009 den dinglichen Arrest über … EUR in das Vermögen der Beschuldigten verfügt. Das Landgericht Halle hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Beschuldigten am 10. Juli 2009 verworfen. Am 14. September 2009 hat das Landgericht Halle es abgelehnt, der weiteren Beschwerde der Beschuldigten abzuhelfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

 

 

II.

 

Die weitere Beschwerde der Beschuldigten ist zulässig ( § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO ) und führt zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse.

 

1. Die für die Anordnung des dinglichen Arrestes gemäß den §§ 111b Abs. 2, Abs. 5, 111dAbs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO erforderlichen Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz gemäß den §§ 73a S. 1, 73Abs. 1 S. 1 StGB sind hier mangels hinreichenden Tatverdachts einer rechtswidrigen Tat nicht gegeben.

 

Im Anschluss an die vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in dem Beschluss vom 9. Dezember 2008 (2 Ws 312/08 – recherchiert unter juris) vertretene Rechtsauffassung erachtet der Senat die der Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen nicht gemäß § 16 Abs. 2 UWG für strafbar, da der Schutzzweck des § 16 Abs. 2 UWG lediglich Verbraucher umfasst, um welche es sich nach Aktenlage bei den Personen, die von der Beschuldigten geworben wurden, unter Zugrundelegung der gebotenen engen Auslegung des Verbraucherbegriffs nicht handelt.

 

a) Die Definition des in § 16 Abs. 2 enthaltenen objektiven Tatbestandsmerkmals des „Verbrauchers“ bestimmt sich nach § 13 BGB i.V.m. § 2 Abs. 2 UWG. § 13 BGB beruht auf Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (im Folgenden: Fernabsatzrichtlinie) und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Unter Berücksichtigung der engen Auslegung des Verbraucherbegriffes durch den Europäischen Gerichtshof (vgl. Olesch WRP 2007, 908, 910 f.) fällt danach unter den Begriff des Verbrauchers im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 2 Abs. 2 UWG i.V.m. § 13 BGB jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr ausschließlich zu privaten Zwecken handelt, wobei als „privat“ alles anzusehen ist, was dem privaten Konsum oder der sonstigen individuellen Bedarfsdeckung und der persönlichen Daseinsvorsorge dient (OLG Hamm a.a.O. Rz. 27). Demgegenüber ist kein Verbraucher, wessen Handlungen – auch nur teilweise – gewerblichen Zwecken im Sinne einer auf Dauer angelegten Gewinnerzielung dienen (Olesch a.a.O.).

 

b) Unter Zugrundelegung dieser engen Definition unterfallen die Interessenten, die von der Beschuldigten geworben wurden, nicht dem Begriff des Verbrauchers i.S.v. § 16 Abs. 2 UWG. Die jeweils Geworbenen zahlten die „Seminargebühr“ nicht etwa ausschließlich deshalb, um an dem betreffenden Seminar teilnehmen zu können. Vielmehr stellte diese „Seminargebühr“ für die Neugeworbenen in erster Linie das „Eintrittsgeld“ zur Teilnahme an den progressiven Vertriebssystemen der P. bzw. M. GmbH dar. Denn nur nach Zahlung dieses „Eintrittsgeldes“ war es der jeweiligen Person tatsächlich gestattet, selbst eine Provision für die Anwerbung von Interessenten zu erhalten.

 

Nach den im Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 7. April 2009 und in den Beschlüssen des Landgerichts Halle vom 10. Juli 2009 und vom 14. September 2009 dargestellten Ermittlungsergebnissen bildete den Kern der hier verfahrensgegenständlichen Vertriebsmethode nicht das Interesse am Produkt selbst, sondern die Aussicht der jeweils Beitretenden, ihre Seminarkosten durch die Zuführung weiterer Personen über die seitens der P. bzw. M. GmbH ausgelobten Provisionen wett zu machen und darüber hinaus Gewinn zu erzielen. Durch diese letztlich auf den Aufbau eines selbstständigen, gewinnorientierten Gewerbes ausgerichtete Zielsetzung erhielten die von der Angeklagten Geworbenen den Status von Existenzgründern, welche gerade nicht unter den engen Verbraucherbegriff des § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 2 Abs. 2 UWG i.V.m. § 13 BGB fallen (OLG Hamm a.a.O. Rz. 37 m.w.N.; Olesch a.a.O.).

 

Eine Erweiterung des Schutzbereichs des § 16 Abs. 2 UWG auf Nichtverbraucher scheidet vor dem Hintergrund des durch Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierten Analogieverbotes aus.

 

Damit jedoch fehlt es für die Annahme einer Straftat nach § 16 Abs. 2 UWG bereits am objektiven Tatbestandsmerkmal „Verbraucher“ mit der Folge, dass eine rechtswidrige Tat i.S.d. §§ 73 Abs. 1 S. 1, 73a StGB nicht gegeben ist.

 

c) Der Senat teilt nicht die im Urteil des Landgerichts Leipzig vom 26. März 2009 (11 Kls 208 Js 22395/03 ) vertretene Auffassung, wonach sich wegen der Ausgestaltung des § 16 Abs. 2 UWG als Unternehmensdelikt eine Strafbarkeit nach dieser Norm aus dem Umstand ergebe, dass den Betroffenen nach der Lektüre der geschalteten Annoncen bzw. noch während der Fahrt zu den Präsentationsveranstaltungen nicht bewusst gewesen sei, dass sie nicht für eine reine Fahrdiensttätigkeit, sondern vielmehr für eine progressive Vertriebstätigkeit geworben werden sollten.

 

Denn selbst unterstellt, dass die Betroffenen zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Existenzgründer, sondern als eine unselbständige Tätigkeit Suchende und damit als Verbraucher handelten (vgl. BAG, Urteil vom 25. Mai 2005, 5 AZR 572/04, Rz. 39 ff. – recherchiert unter juris), ergibt sich daraus eine Strafbarkeit nach § 16 Abs. 2 UWG nicht. Es ist bereits zweifelhaft, ob – wie das Landgericht Leipzig meint – mit dem Schalten der Annoncen bzw. der Durchführung der Fahrten zu den Präsentationsveranstaltungen bereits unmittelbar zur Tat (hier: der Werbung zum progressiven Vertriebssystem) angesetzt wurde; mehr dürfte dafür sprechen, dass es sich hierbei lediglich um dem Versuchsstadium vorgelagerte und vom Unternehmensdelikt i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB daher nicht umfasste Vorbereitungshandlungen handelte (vgl. Fischer, StGB, 56. Aufl., § 11 Rz. 28; § 22 Rz. 5).

 

Dies kann jedoch dahinstehen. Denn wenn nach der hier vertretenen Rechtsauffassung in Fällen wie diesem § 16 Abs. 2 UWG selbst die erfolgreich durchgeführte Werbung nicht unter Strafe stellt, kann für sämtliche auf eben diese (straflose) Werbung abzielende Handlungen im Vorfeld nichts anderes gelten.

 

Allenfalls mag man vor dem Hintergrund der möglicherweise erfolgten Täuschung der Leser der Anzeigen insoweit an eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB denken. Da die diesbezügliche Täuschung über die Art der von ihnen erwarteten Tätigkeit jedoch nach Beginn der Präsentationsveranstaltung, spätestens jedoch im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bzw. der Zahlung der „Seminargebühr“ zwecks Berechtigung zur Teilnahme am progressiven Vertriebssystem nicht mehr fortwirkte, entfällt insoweit auch eine Strafbarkeit nach § 263 Abs. 1 StGB, weshalb die Anordnung des Arrestes wegen der vereinnahmten „Seminargebühren“ auf diese Strafnorm ebenfalls nicht gestützt werden kann.

 

d) Schließlich ergeben sich weder aus den in der Akte befindlichen Zeugenaussagen noch aus dem sonstigen Akteninhalt konkrete Anhaltspunkte dafür, dass entgegen dem als Handelsvertretervertrag ausgestalteten „Vertriebsmitarbeitervertrag“ die Tätigkeit der Geworbenen nach Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und/oder Ort faktisch dem Weisungsrecht der P. bzw. der M. GmbH in einem solchen Maße unterworfen war (vgl. BAG, Urteil vom 20. August 2003, 5 AZR 610/02, Rz. 16 – recherchiert unter juris), dass sie als (scheinselbständige) Arbeitnehmer – und damit möglicherweise als Verbraucher i.S.v. § 16 Abs. 2 UWG – anzusehen wären. Allein der aus den Akten ersichtliche Umstand, dass die geworbenen „Vertriebsmitarbeiter“ mit den noch zu werbenden Interessenten zu bestimmten Terminen an den oben genannten Präsentationsveranstaltungen teilnehmen mussten, um die begehrte Vermittlungsprovision zu erhalten, ist für eine solche Annahme jedenfalls nicht ausreichend.

 

 

III.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.

 

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