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Schmähkritik und „All cops are bastards“:  zum Tatbestand der Beleidigung

Wo liegt die Grenze zwischen Meinungsäußerung und Beleidigung? Kann man einen ganzen Berufsstand verunglimpfen und sich trotzdem nicht strafbar machen? Und darf man in bestimmten Situationen härter reagieren als in anderen? Diese und weitere Fragen stellt sich vermutlich jeder, der sich einmal mit Beleidigungsdelikten des StGB auseinandersetzt. Im folgenden Artikel sollen einige wichtige Fakten zur strafbaren Beleidigung nach § 185 StGB geklärt werden.

Beleidigung vs. Meinungsfreiheit

Die Frage, was man noch als Meinungsäußerung sagen darf und was schon eine Beleidigung darstellt, fällt ins Spannungsfeld zwischen zwei Grundrechten. Auf der einen Seite steht die Meinungsfreiheit des Äußernden nach Art. 5 Abs.1 GG. Auf der anderen Seite steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht desjenigen, über den geredet wird, nach Art. 1 und 2 GG, das den Schutz der Ehre dieses Menschen enthält.

Wer Art. 5 Abs. 2 GG liest, für den mag dieser Konflikt schon entschieden sein, beschränkt er doch ausdrücklich die Meinungsfreiheit durch die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Ehre, also u.a. durch den § 185 StGB. Aber diese Regelung besagt nur, dass die Meinungsfreiheit durch diese gesetzlichen Bestimmungen eingeschränkt werden kann, nicht aber, dass diese immer Vorrang haben. Die Entscheidung, ob die Meinungsfreiheit zugunsten des Schutzes der Ehre zurücktreten muss, muss immer im konkreten Fall abgewägt werden. Da dieser Konflikt der Grundrechte schon lange besteht, haben sich mit der Zeit einige Anhaltspunkte entwickelt, an denen man sich bei der Entscheidung orientieren kann.

Einer der wichtigsten Punkte ist, inwieweit es sich bei den Äußerungen um Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung handelt. Immerhin besteht das Grundrecht der freien Meinungsäußerung in erster Linie, damit jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung in den öffentlichen Diskurs über wichtige Themen einzubringen. Je weniger es dem Äußernden um diesen Zweck geht, desto weniger Gewicht hat sein Grundrecht der freien Meinungsäußerung bei der Abwägung. Umgekehrt fällt mehr unter die Meinungsfreiheit, je eher die Äußerung ein Beitrag zur Diskussion über eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage ist. Dies gilt umso mehr für Parteien im Wahlkampf, da diese neben der Meinungsfreiheit auch Art. 21 GG für sich beanspruchen können.

Bei der Frage, ob eine Äußerung einen ehrverletzenden Inhalt hat, kommt es darauf an, wie ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung verstehen würde. Dabei sind die Begleitumstände der Äußerung einzubeziehen. So ist beispielsweise im Internet ein etwas großzügigerer Maßstab anzulegen, weil dort im Allgemeinen ein rauerer Ton herrscht. Auch sind nach normalem Maßstab beleidigende Äußerungen von der Meinungsfreiheit umfasst, wenn sie „verbale Gegenschläge“ zu Äußerungen der Gegenseite sind und gemessen an diesen Äußerungen nicht unverhältnismäßig sind. Sollte es mehrere mögliche Deutungen einer Äußerung geben, ist die günstigste für den Täter zu wählen.

Gewisse Besonderheiten in der Abwägung gelten für Künstler. Bei Werken der bildenden Kunst muss unter Umständen darauf abgestellt werden, wie ein Kunstkenner das Werk versteht, da der Künstler den ehrverletzenden Inhalt hinter Verfremdungen und anderen künstlerischen Mitteln versteckt haben könnte. Schwieriger ist die Beurteilung, ob eine Beleidigung gegeben ist, bei der Satire und Karikatur. Bei diesen gibt es oft einen Aussagekern, der durch eine übertriebene und nach normalen Kriterien ehrverletzende Form zum Ausdruck gebracht wird. Ist schon der Aussagekern ehrmindernd, handelt es sich um eine Beleidigung. Ist er das aber nicht, ist bei der Form der Äußerung dem Satiriker ein größerer Spielraum einzuräumen, da Übertreibung und Verfremdung zu seinen üblichen Mitteln gehören. Die Form muss daher hinreichend deutlich eine besondere Missachtung der Betroffenen erkennen lassen.

Eine absolute Grenze bei der Abwägung ist bei der sogenannten Schmähkritik erreicht. Schmähkritik ist gegeben, wenn allein die Schmähung des Betroffenen im Vordergrund steht und es somit nicht mehr um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung bzw. die Auseinandersetzung mit der Sache geht. Solange die Äußerung aber nicht jeder sachlichen Grundlage entbehrt und nicht überwiegend böswillig ist, kann man aber noch nicht von Schmähkritik sprechen. Im Allgemeinen ist die Rechtsprechung eher vorsichtig damit, Schmähkritik anzunehmen, weil es die Abwägung sofort beendet. Schmähkritik ist deswegen fast ausschließlich auf Privatfehden beschränkt und wird bei Beiträgen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich interessieren, äußerst selten angenommen.

Keine Meinungsäußerung, sondern eine klare Beleidigung ist die sogenannte Formalbeleidigung, die laut dem BVerfG bei Begriffen gegeben ist, die ein „zivilisierter“ Mensch nicht verwenden würde. Formalbeleidigungen sind beispielsweise demütigende Schimpfwörter mit eindeutig obszönen Konnotationen und Beschimpfungen mit Tiernamen. Diese „verbalen Faustschläge“ sind keine Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung, woran auch das Milieu oder inflationäre Gebrauch eines Schimpfwortes nicht ändert.

Allerdings gibt es einen Bereich, in dem grds. beleidigende Äußerungen nicht strafbar sind. Vertrauliche Äußerungen über nicht anwesende Dritte sind nämlich straflos, wenn sie im Familienkreis oder in Beziehungen, die der Bindung zur Familie ähnlich sind, getätigt werden, denn jedem muss ein Raum für ungezwungene, vertrauliche Aussprache und ggf. das Entladen angestauter Emotionen gegeben werden.

Beleidigung von Gruppen

Jeder hat vermutlich schon einmal die an Wände gesprayte Abkürzung ACAB (für: all cops are bastards) gesehen. Hat der Sprayer sich wegen Beleidigung der gesamten Polizei bzw. jedes einzelnen Polizisten strafbar gemacht? Kann man überhaupt eine Behörde oder Körperschaft als solche beleidigen?

Für bestimmte Körperschaften gibt das StGB selbst in §194 Abs. 3 und 4 eine Antwort, wenn es von Beleidigungen spricht, die sich gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle der öffentlichen Verwaltung bzw. gegen Gesetzgebungsorgane und sonstige politische Körperschaften richten. Einige Stimmen in der Rechtswissenschaft sehen dies zwar nur als eine Regelung, die helfen soll, alle Strafanträge von durch eine Äußerung beleidigten Menschen innerhalb dieser Körperschaft zu bündeln. Die h.M. und mit ihr auch der BGH und das BVerfG legen die Regelung aber so aus, dass die Körperschaften selbst beleidigt werden können.

§ 194 regelt aber nur einen eher kleinen Kreis von Körperschaften und erfasst z.B. nicht die Polizei, politische Parteien etc. Was gilt für diese Körperschaften? Auch diese Frage hat der BGH beantwortet. Er entschied, dass Körperschaften mit einer rechtlich anerkannten Funktion und einer einheitlichen Willensbildung beleidigt werden können. Dazu gehören Gewerkschaften, Parteien sowie Personen- und Kapitalgesellschaften. Die Polizei an sich ist nicht erfasst. Grund ist, dass es 16 verschiedene Landespolizeien und die Bundespolizei gibt, die in sich eine einheitliche Willensbildung haben und dementsprechend auch beleidigt werden können, aber untereinander keinen einheitlichen Willen bilden, sodass es nicht „die deutsche Polizei“ gibt.

Es könnte aber immer noch sein, dass in der Beleidigung einer Gruppe eine Beleidigung jedes einzelnen Mitglieds dieser Gruppe liegt. Das ist nach dem BGH möglich, wenn sich die beleidigte Gruppe durch bestimmte Merkmale deutlich von der Allgemeinheit abhebt, sodass der Kreis der Betroffenen klar umgrenzt ist und die Zuteilung zu dieser Gruppe unzweifelhaft ist. Außerdem darf die Gruppe nicht unüberschaubar groß sein. Der BGH hat entschieden, dass auf diese Weise alle Soldaten im aktiven Dienst beleidigt werden können. Die Gruppe der Polizisten wäre aber wohl unüberschaubar groß.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu dem Kürzel „ACAB“ 2016 ausgeführt, dass die  Kundgabe der Buchstabenkombination im öffentlichen Raum i vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar sei.  Die Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) setze voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten sei der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt.

Es fehlte in dem vom BVerfG entschiedenen Fall an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung hätten tragen können, dass sich die Äußerung  ACAB“jeweils auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezogen. Es reiche nicht aus, dass die Polizeikräfte, die die Parole „ACAB“ wahrnehmen, eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten bildeten. Vielmehr bedürfe es einer personalisierenden Adressierung dieser Parole, für die in dem Fall  nichts ersichtlich gewesen sei. Das Wissen, dass Polizei im Stadion ist und die Parole wahrnehmen würde, reiche hierfür nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht aus. 

Anders hätte es seien können. wenn der Träger der Buchstaben die Polizei in unmittelbarer Nähe mit dem Kürzel konfrontiert hätte. 

LINKS:

Beschluss vom 17. Mai 2016, Beschluss vom 17. Mai 2016
1 BvR 257/14
1 BvR 2150/14