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Hess,Verwaltungsgerichtshof vom 15.3.2012

7 B 371/1

Tenor

 

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die im Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 6. Februar 2012 – 5 L 46/12.KS – ausgesprochene Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Untersagung des Betreibens einer Filialapotheke durch Aufstellen einer Co-Box in Kombination mit einer Pick-up-Stelle in den Räumen der ehemaligen B…-Apotheke, C…straße …, D… (Regelung Nr. 1 des Bescheides des Antragsgegners vom 8. Dezember 2011) wird zurückgewiesen.

 

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

 

I.

 

Der Antragsteller betreibt mit den erforderlichen Erlaubnissen die E… Apotheke in F…, die G…-Apotheke in I… sowie eine Versandapotheke („H…“).

 

Die Ehefrau des Antragstellers betreibt in D… in den Räumen der dort früher befindlichen B…-Apotheke eine Drogerie („J…“).

 

Das Regierungspräsidium Darmstadt erweiterte mit Bescheid vom 27. Juni 2011 die dem Antragsteller erteilte Betriebserlaubnis für die E… Apotheke um die Erlaubnis zum Betrieb einer sog. Co-Box in den Räumen der Drogerie in D…. Bei einer Co-Box handelt es sich um eine sog. Videoapotheke, d. h. ein Terminal zur Bestellung von Arzneimitteln in Verbindung mit einer Bildschirmberatung durch einen Apotheker. Auf einer Stellfläche ist eine Kabine eingerichtet, die durch eine Tür betreten wird, welche sich nach dem Eintritt eines Kunden schließen lässt und so die Kabine als umschlossenen Raum von dem Drogeriemarkt separiert. In diesem abgetrennten Raum werden die Kunden über einen Bildschirm, ein Mikrofon und einen Lautsprecher mit der Apotheke des Antragstellers verbunden und von ihm hinsichtlich ihres Medikamentenbedarfs beraten. Zugleich besteht die Möglichkeit über die Co-Box Medikamente zu bestellen. Rezepte werden in einen dafür vorgesehenen Einwurfkasten eingeworfen und gescannt. Auf Basis des Scans wird der Kunde beraten. Will der Kunde das Rezept nicht einlösen, so kann er es wieder entnehmen. Will er es einlösen, wird es endgültig eingezogen und von Mitarbeitern der Apotheke des Antragstellers abgeholt. Erst wenn das Originalrezept in der Apotheke eingetroffen ist, wird die Bestellung abschließend geprüft und fertiggestellt. Über die Co-Box bei der E… Apotheke bestellte Medikamente werden den Kunden auf Wunsch durch ein Transportunternehmen geliefert. Alternativ werden die bestellten Arzneimittel zur insoweit als Abholstation (sog. Pick-up-Stelle) fungierenden Drogerie gebracht und dort von den Kunden abgeholt. Die Bezahlung durch den Kunden erfolgt entweder in der Co-Box per EC-Karte oder in bar bei Auslieferung an den Kunden bzw. bei Abholung der Medikamente durch ihn in der Drogerie.

 

 

Nach Anhörung des Antragstellers traf das Regierungspräsidium Darmstadt gegenüber dem Antragsteller mit diesem am 14. Dezember 2011 zugestelltem Bescheid vom 8. Dezember 2011 folgende Regelungen:

 

 

„1. Das Betreiben einer Filialapotheke durch Aufstellen einer Co Box in Kombination mit einer Pick-up-Stelle in den Räumen der ehemaligen B…-Apotheke, C…straße …, D… wird Ihnen mit Ablauf des 7. Tages nach Zustellung dieser Verfügung untersagt.

2. Die Schließung der Filialapotheke, C…straße …, D…, wird mit Ablauf des 7. Tages nach Zustellung dieser Verfügung gemäß § 5 ApoG angeordnet.

 

3. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung nach Ziffer 1 und 2 wird angeordnet.

4. Für den Fall, dass Sie der Verfügung nach Ziffer 1 oder 2 nicht innerhalb einer Woche nach Ablauf der gesetzten Frist Folge leisten, drohe ich die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 € an. Das Zwangsgeld kann in gleicher Höhe ohne erneute Androhung festgesetzt werden, wenn die Vollstreckung wirkungslos geblieben ist.

 

 

5. Sie haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.“

Zur Begründung führte das Regierungspräsidium Darmstadt aus, durch die Kombination von Co-Box und Pick-up-Stelle betreibe der Antragsteller eine Filialapotheke, ohne dass die hierfür erforderlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach dem Apothekengesetz sowie der Apothekenbetriebsordnung vorlägen. Die sofortige Vollziehung sei gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anzuordnen gewesen, da das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Arzneimittelsicherheit und des ordnungsgemäßen Apothekenbetriebs das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung eventueller Rechtsbehelfe überwiege. Der Vorrang des öffentlichen Interesses ergebe sich bereits daraus, dass der Antragsteller als Adressat dieser Verfügung nicht besser gestellt werden dürfe, als derjenige, der sich gesetzmäßig verhalte. Demgegenüber müssten die wirtschaftlichen und in der Ausübung des Gewerbes liegenden Interessen des Antragstellers zurückstehen, da sie sich bei Abwägung der widerstreitenden Belange aus den genannten Gründen nicht gegen die hier getroffenen überragenden Interessen der Allgemeinheit am hohen Schutz der Arzneimittelsicherheit durchzusetzen vermöchten. Gemäß § 23 des Apothekengesetzes sei der Betrieb einer Apotheke ohne die erforderliche Erlaubnis als einziger Verstoß im Apothekenrecht strafbewehrt. Diese gesetzgeberische Wertung bedeute, dass ein Verstoß gegen die Erlaubnispflicht umgehend abzustellen sei, weil sonst einer Straftat Vorschub geleistet würde und die Missachtung gerade dieser Vorschrift des Apothekengesetzes die Arzneimittelsicherheit erheblich gefährden würde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 8. Dezember 2011 Bezug genommen.

Am 13. Januar 2012 hat der Antragsteller Klage erhoben, die beim Verwaltungsgericht Kassel unter der Geschäftsnummer 5 K 47/12.KS geführt wird. Am selben Tag hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Kassel um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

 

Das Verwaltungsgericht Kassel hat mit dem Antragsgegner am 8. Februar 2012 zugestelltem Beschluss vom 6. Februar 2012 dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Der Sachtenor des Beschlusses lautet:

 

 

„Die aufschiebende Wirkung der am 13.01.2012 erhobenen Klage (5 K 47/12.KS) gegen die Untersagungsverfügung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 08.12.2011 wird wiederhergestellt“.

 

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Antragsgegner habe dem Antragsteller zu Unrecht das Betreiben einer Co-Box in Verbindung mit einer Pick-up-Stelle in den Räumen einer ehemaligen Apotheke in D… untersagt. Es handele sich nicht um den Betrieb einer Filialapotheke. Vielmehr betreibe der Antragsteller über die Co-Box in Verbindung mit der Pick-up-Stelle einen zulässigen (Arzneimittel-) Versandhandel. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Kassel vom 6. Februar 2012 verwiesen.

 

Der Antragsgegner hat am 13. Februar 2012 Beschwerde erhoben und diese mit am 2. März 2012 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom 29. Februar 2012 begründet. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 29. Februar 2012 Bezug genommen.

 

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber unbegründet. Die vom Antragsgegner dargelegten Gründe lassen nicht die Feststellung zu, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die im Bescheid vom 8. Dezember 2011 verfügte Untersagung wiederhergestellt.

 

Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO gegen die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung versehene Untersagung des Betreibens einer Filialapotheke durch Aufstellen einer Co-Box in Kombination mit einer Pick-up-Stelle in den Räumen der ehemaligen B…-Apotheke in D… (Regelung Nr. 1 des Bescheides vom 8. Dezember 2011) ist nach dem Erkenntnisstand des Beschwerdegerichts im Zeitpunkt seiner Entscheidung zulässig und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 bis 3 – Entfallen der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes – ganz oder teilweise anordnen, im Fall des Abs. 2 Nr. 4 – Entfallen der aufschiebenden Wirkung kraft behördlicher Anordnung – ganz oder teilweise wiederherstellen. Die hiernach vom Gericht zu treffende Entscheidung stellt eine Ermessensentscheidung dar, die unter Abwägung der Interessen der Beteiligten erfolgt.

Entfällt die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes – wie etwa bei der Zwangsgeldandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom 8. Dezember 2011 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 16 Satz 1 HessAGVwGO -, so hängt die Begründetheit des dann statthaften Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO allein von der vom Gericht vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Vollzug der im Verwaltungsakt getroffenen Regelung, dem sogenannten Vollziehungsinteresse, und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ab.

 

Entfällt eine gesetzlich vorgesehene aufschiebende Wirkung erst kraft behördlicher Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO – wie etwa bei der Untersagungsverfügung und der Schließungsverfügung im Bescheid des Antragsgegners vom 8. Dezember 2011 -, so kann sich die Begründetheit des dann einschlägigen Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO neben der auch hier vorzunehmenden gerichtlichen Interessenabwägung zudem aus einer formellen Fehlerhaftigkeit der behördlichen Vollziehungsanordnung ergeben.

Die Interessenabwägung durch das Gericht richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Erweist sich der Verwaltungsakt bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig, so ist einem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO stattzugeben, weil an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen kann.

 

Stellt sich der Verwaltungsakt nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens hingegen als rechtmäßig dar, so ist weiter danach zu differenzieren, ob der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO einen Verwaltungsakt betrifft, dessen sofortige Vollziehbarkeit kraft Gesetzes oder (erst) aufgrund behördlicher Anordnung besteht. Im ersten Fall, dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, ist das Eilrechtsschutzgesuch bei Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts in der Regel unbegründet, da regelmäßig das öffentliche Vollziehungsinteresse überwiegt. Dies ergibt sich daraus, dass in den Fällen des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Gesetzgeber selbst einen grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen.

 

 

Im zweiten Fall, dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, reicht demgegenüber mangels gesetzlicher Anordnung des Entfallens der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts allein zur Begründung eines überwiegenden öffentlichen Vollziehungsinteresses nicht aus. Da hier nach der Gesetzeslage die aufschiebende Wirkung der Regelfall ist, ist zur Begründung eines überwiegenden öffentlichen Vollziehungsinteresses zusätzlich zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts eine besondere Dringlichkeit seiner Vollziehung, das sogenannte besondere Vollzugsinteresse, erforderlich.

Lässt sich bei summarischer Prüfung weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen, so ist eine von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen. Auch hierbei schlägt mit erheblichem Gewicht zu Buche, ob nach der Gesetzeslage einem eingelegten Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt oder nicht (vgl. zu Vorstehendem: Senatsbeschluss vom 27. Juli 2006 – 7 TG 1561/06 -).

Nach diesem bei der Prüfung eines Aussetzungsantrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzulegenden Maßstab hat der Antrag des Antragstellers Erfolg. Zwar weist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung im Bescheid des Antragsgegners vom 8. Dezember 2011 keine formellen Mängel, insbesondere kein Begründungsdefizit, auf, die Interessenabwägung ergibt indes den Vorrang des Aussetzungsinteresses des Antragstellers vor dem öffentlichen Vollziehungsinteresse.

 

Die auf § 69 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2983) – AMG – gestützte Untersagungsverfügung (Regelung Nr. 1 des Bescheides vom 8. Dezember 2012) ist nach dem Erkenntnisstand des Beschwerdegerichts im Zeitpunkt seiner Entscheidung nämlich rechtswidrig. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Zu den Verstößen, die hiernach die zuständigen Behörden zum Eingreifen ermächtigen, gehört neben der Missachtung arzneimittelrechtlicher Vorschriften auch die Verletzung apothekenrechtlicher Bestimmungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 – BVerwG 3 C 27.07 – NVwZ 2008, 1238).

Die das Eingreifen des Regierungspräsidiums Darmstadt auslösende Kombination von Co-Box und Pick-up-Stelle in Räumlichkeiten der Drogerie in D… verstößt entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners nicht gegen apothekenrechtliche Bestimmungen. Insbesondere betreibt der Antragsteller hierdurch in D… keine Filialapotheke, für die ihm bereits die nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen (Apothekengesetz) vom 15. Oktober 1980 (BGBl. I S. 1993), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Mai 2008 (BGBl. I S. 874) – ApoG – erforderliche Erlaubnis fehlen würde.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel – mit Ausnahme der in § 47 AMG geregelten, hier nicht relevanten Fälle der Abgabe durch pharmazeutische Unternehmer und Großhändler – nur in Apotheken sowie mit behördlicher Erlaubnis im Wege des Versands in den Verkehr gebracht werden. Das Apothekengesetz, das gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. AMG das Nähere regelt, und die auf der Grundlage des § 21 ApoG erlassene Apothekenbetriebsordnung vom 26. September 1995 (BGBl. I S. 1195), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2338) – ApBetrO – beinhalten demgemäß Vorschriften, die das Inverkehrbringen von Arzneimitteln einerseits in Apotheken (sog. Präsenzapotheken), andererseits im Wege des Versand betreffen (vgl. insbesondere § 17 ApBetrO). In der (Präsenz-)Apotheke dürfen gemäß § 17 Abs. 1 ApBetrO Arzneimittel nur in den Apothekenbetriebsräumen in den Verkehr gebracht und nur durch pharmazeutisches Personal ausgehändigt werden. Noch zum Inverkehrbringen in der (Präsenz-)Apotheke zählt dabei nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 ApoG die Zustellung durch Boten der Apotheke, die nach dieser Vorschrift im Einzelfall (sogar) ohne Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln nach § 11a ApoG zulässig ist.

Der Versandhandel als die weitere vom Gesetzgeber zugelassene Form des Inverkehrbringens von Arzneimitteln grenzt sich von der Medikamentenabgabe in der Präsenzapotheke im Grundsatz dadurch ab, dass das Arzneimittel von einer Apotheke, aber nicht in deren Betriebsräumen abgegeben wird. Anstelle der unmittelbaren Übergabe in der Präsenzapotheke und der ihr durch § 17 Abs. 2 ApBetrO gleichgestellten Zustellung durch Boten der Apotheke im Sinne dieser Vorschrift tritt die Versendung der Arzneimittel. Diese muss den in § 11a ApoG im Zusammenhang mit der Erteilung der Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln geregelten Anforderungen sowie den Vorgaben des § 17 Abs. 2a ApBetrO genügen. § 11a Satz 1 Nr. 1 ApoG regelt, dass der Versand aus einer öffentlichen Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb und nach den dafür geltenden Vorschriften erfolgt, soweit für den Versandhandel keine gesonderten Vorschriften bestehen. § 11a Satz 2 Nr. 2 und 3 ApoG sowie § 17 Abs. 2a ApBetrO enthalten weitere Vorschriften, die vornehmlich die Arzneimittelsicherheit bei der Arzneimittelabgabe im Wege des Versandhandels gewährleisten sollen. Wird den Vorgaben der § 11a ApoG, § 17 ApBetrO für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels genügt, so ist es für die Zulässigkeit dieses Vertriebsweges grundsätzlich rechtlich unerheblich, ob der Versand an den Endverbraucher oder an eine Abholstation erfolgt, in der die Arzneimittelversendung dem Endverbraucher ausgehändigt wird. Ebenso ist es dann rechtlich ohne Belang, ob der Versand an den Endverbraucher oder die Abholstation durch einen Boten der Apotheke oder einen (gewerblichen) Transporteur durchgeführt wird. Namentlich ist § 17 Abs. 2 ApBetrO nicht zu entnehmen, dass die Zustellung durch Boten der Apotheke ausschließlich der Vertriebsform Präsenzapotheke vorbehalten ist. § 17 Abs. 2 ApBetrO stellt vielmehr lediglich klar, dass im Einzelfall das Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch die Präsenzapotheke auch mittels Zustellung durch Boten der Apotheke erfolgen kann, ohne dass es hierfür sogleich einer Versanderlaubnis nach § 11a ApoG bedarf.

 

Erst wenn ein tatsächlich betriebener Versandhandel unter Beteiligung einer Abholstation nach außen den Eindruck des Betriebs einer Präsenzapotheke erweckt oder es aber den Anschein hat, dass Arzneimittel nicht mehr von einer Apotheke versandt, sondern vom Transporteur bzw. dem Gewerbebetrieb, in dessen Räumen sich die Abholstation befindet, in Verkehr gebracht werden, liegt eine Verletzung apotheken- bzw. arzneimittelrechtlicher Vorschriften vor. Im ersten Fall würde nach außen hin eine Präsenzapotheke betrieben, ohne dass die Arzneimittel durch pharmazeutisches Personal ausgehändigt würden (§ 17 Abs. 1 ApBetrO) und ohne dass den Anforderungen an die Beschaffenheit der Betriebsräume nach § 4 ApBetrO genügt würde. Im zweiten Fall würde gegen § 43 Abs. 1 und 3 AMG verstoßen, wonach Arzneimittel nur von Apotheken in Apotheken oder im Wege des Versandhandels in den Verkehr gebracht werden dürfen (Fortsetzung und Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Vertriebswegen für apothekenpflichtige Arzneimittel, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 2005 – BVerwG 3 C 9.04 – NVwZ 2005, 1198; Urteil vom 13. März 2008, a. a. O.; Urteil vom 24. Juni 2010 – BVerwG 3 C 30.09 – NVwZ-RR 2010, 810).

 

Hiernach stellt die vom Antragsteller gewählte Vertriebsform durch die Verbindung einer Co-Box in einer Drogerie mit einer in derselben Drogerie befindlichen Abholstation nach der dem Beschwerdegericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung ersichtlichen Sachlage und gemessen am nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevorbringen des Antragsgegners ein zulässiges Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels dar.

Aufgrund der mit Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27. Juni 2011 vorgenommenen Erweiterung der dem Antragsteller erteilten Betriebserlaubnis für die E… Apotheke um eine Erlaubnis für die Co-Box in den nunmehr als Drogerie genutzten Räumen der ehemaligen B…-Apotheke in D… stellt diese Co-Box einen Betriebsraum der E… Apotheke im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 2 ApBetrO dar, der den Versand sowie die Beratung und Information in Verbindung mit diesem Versandhandel betrifft. Die in der Co-Box und damit einem Betriebsraum der E… Apotheke vorgenommene Bestellung sowie die sodann durch diese Apotheke erfolgende Abgabe der Arzneimittel entweder durch Zustellung an den Endverbraucher oder durch Übersendung an die in der Drogerie in D… eingerichtete Abholstation ist ein Inverkehrbringen von Arzneimitteln im Wege des Versandhandels und genügt den hierfür bestehenden rechtlichen Anforderungen, namentlich denen, die die Arzneimittelsicherheit betreffen.

Der Umstand, dass sich die Co-Box – ein vom Drogeriemarkt abgegrenzter Kabinenraum, der rechtlich ein (externer) Betriebsraum der E… Apotheke ist – und die in der Drogerie eingerichtete Abholstation in unmittelbarer Nähe in den Räumlichkeiten ein- und desselben Drogeriemarkts befinden, führt nicht dazu, dass der Antragsteller dort eine Präsenzapotheke in Form einer Filialapotheke betreibt oder einen entsprechenden Eindruck hervorruft. Auch bei der vom Antragsteller gewählten Vertriebsform werden die bestellten Arzneimittel nicht – wie das für die Annahme einer Präsenzapotheke in Abgrenzung zu einem Versandhandel erforderlich wäre – in einem Betriebsraum der das Arzneimittel abgebenden E… Apotheke übergeben.

 

Die Verbindung von Co-Box und Abholstelle in den Räumlichkeiten des Drogeriemarkts in D… erweckt auch nicht den Eindruck, dass dort eine Präsenzapotheke durch den Antragsteller betrieben wird. Die in der Beschwerdebegründung vom Antragsgegner angeführten Gesichtspunkte – Inhaberin der Drogerie ist selbst Apothekerin, Anwesenheit einer pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten, Angebot apothekenüblicher Waren und freiverkäuflicher Arzneimittel in der Drogerie, frühere Nutzung der Drogerieräumlichkeiten als Apotheke, Arzneimittelanforderung und -mitnahme gegen Zahlung in denselben Räumlichkeiten – reichen für einen derartigen Anschein nicht aus. Vielmehr stehen die deutliche Trennung der Co-Box vom Drogeriemarkt sowie der auch im Übrigen für den Kunden erkennbare Unterschied zwischen dem Inhaber der E… Apotheke als Vertragspartner im Hinblick auf über die Co-Box bestellte Arzneimittel und der Inhaberin des Drogeriemarkts als Vertragspartnerin in Bezug auf aus dem dortigen Warensortiment erworbene Gegenstände einem solchen Eindruck entgegen.

 

III.

 

Gegenstand der Beschwerdeentscheidung des Senats ist – wie aus dem Tenor ersichtlich – ausschließlich die die Regelung Nr. 1 im Bescheid des Antragsgegners vom 8. Dezember 2011 betreffende Aussetzungsentscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO, da sich die Beschwerde und das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners nur hierzu verhalten. Ob das Verwaltungsgericht im Beschluss vom 6. Februar 2012, dessen Tenor insoweit nicht eindeutig ist und dessen Gründe sich mit der Schließung und der Zwangsgeldandrohung nicht befassen, auch die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers im Hinblick auf die Schließungsverfügung (Regelung Nr. 2 des Bescheides vom 8. Dezember 2011) wiederhergestellt und in Bezug auf die Zwangsgeldandrohung (Regelung Nr. 4 des Bescheides vom 8. Dezember 2011) angeordnet hat, kann für die vom Senat zu treffende Entscheidung dahinstehen.

 

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Nr. 25.2 (Lebensmittel-/Arzneimittelrecht – sonstige Maßnahmen) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) und legt den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG zu Grunde, der im Eilverfahren auf die Hälfte zu reduzieren ist (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).