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BGH Beschluss vom 27.1.1994 – I ZR 276/91 „Streitwertherabsetzung“

Bei der Beurteilung, ob die Belastung einer Partei mit Prozesskosten nach dem vollen Streitwert als nicht tragbar erscheint, ist zwischen der wirtschaftlichen Lage der Partei einerseits und der Höhe der Kostenbelastung andererseits abzuwägen. Bei einem Wettbewerbsverein nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist weiterhin zu beachten, daß dieser grundsätzlich auch finanziell in der Lage sein muß, seine Aufgaben zu erfüllen, ohne zur sachgerechten Prozeßführung auf eine Streitwertherabsetzung nach § 23a UWG angewiesen zu sein.

BGH, Beschluss vom 27.01.1994 – I ZR 276/91 „Streitwertherabsetzung“

Gründe:

I. Der Kl., ein Verein, der satzungsgemäß Verstöße gegen den lauteren Wettbewerb verfolgt, hat das beklagte Unternehmen der Tabakwarenindustrie auf Unterlassung von Zigarettenwerbung in Jugendzeitschriften in Anspruch genommen. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.

LG und BerG haben – ausgehend von einem nach § 3 ZPO anzunehmenden Streitwert von 150 000,- DM – den Streitwert für das Verfahren jeweils nach § 23a UWG auf 69 000,- DM festgesetzt.

Durch Beschl. v. 9. 12. 1993 hat der Senat den Streitwert für das Revisionsverfahren auf 100 000,- DM festgesetzt.

Gegen diesen Beschluß hat der Prozeßbevollmächtigte der Bekl. im eigenen Namen Gegenvorstellungen eingelegt mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 23a UWG seien nicht gegeben. Die Sache sei weder einfach gelagert noch erscheine es für die Bekl. nicht tragbar, mit den Prozeßkosten nach dem vollen Streitwert belastet zu werden.

II. Die Gegenvorstellungen gegen die Streitwertfestsetzung des Senats sind zurückzuweisen.

Über eine Streitwertherabsetzung nach § 23a UWG ist von Amts wegen und unabhängig von der Frage des Obsiegens der einkommens- und vermögensschwachen Partei zu entscheiden (BGH GRUR 1990, 1052 , 1053 – Streitwertbemessung).

Danach war der Streitwert gemäß § 23a Alt. 2 UWG herabzusetzen, weil eine Belastung des Kl. mit den Prozeßkosten nach dem vollen Streitwert im Fall seines Unterliegens angesichts seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse als nicht tragbar erschienen wäre.

Wie schon die Regelung des § 23b UWG zeigt, ist bei der Beurteilung, ob die Belastung einer Partei mit Prozeßkosten nach dem vollen Streitwert als nicht tragbar erscheint, abweichend vom Wortlaut des § 23a UWG nicht darauf abzustellen, ob es der Partei unmöglich wäre, diese Kosten zu tragen. Es ist vielmehr abzuwägen zwischen der wirtschaftlichen Lage der Partei einerseits und der Höhe der Kostenbelastung andererseits (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 6. Aufl., Kap. 49 Rdn. 67; Großkomm/Jestaedt, § 23a UWG Rdn. 20). Bei einem Wettbewerbsverein nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, der sich – wie der Kl. – die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs zum Ziel gesetzt hat und fast ausschließlich dieser Tätigkeit nachgeht, ist weiterhin zu beachten, daß ein solcher Verein grundsätzlich auch finanziell in der Lage sein muß, diese Aufgabe zu erfüllen, ohne zur sachgerechten Prozeßführung auf eine Streitwertherabsetzung nach § 23a UWG angewiesen zu sein. Er muß daher grundsätzlich auch fähig sein, die Prozeßkosten von Verfahren mit Streitwerten bis zur Höhe der Revisionssumme ohne Streitwertherabsetzung zu tragen (vgl. Großkomm/Jestaedt, a.a.O., Rdn. 24; Baumbach/ Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 17. Aufl., § 23a Rdn. 12).

Bei Streitwerten, die über der Revisionssumme liegen, ist dagegen auch bei einem derartigen Wettbewerbsverein die Anwendung des § 23a UWG grundsätzlich angebracht. Denn den Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen ist die Prozeßführungsbefugnis zur Verfolgung unlaute- ren Wettbewerbs auch im öffentlichen Interesse gegeben (vgl. BGH GRUR 1990, 282 , 284 = WRP 1990, 255, 257 – Wettbewerbsverein IV; Urt. v. 9. 12. 1993 – I ZR 276/91 – Zigarettenwerbung in Jugendzeitschriften 1 ). Dies gilt in besonderer Weise für die wirtschaftlich bedeutsameren Streitigkeiten mit entsprechend höherem Streitwert. Ohne eine Anwendung des § 23a UWG in solchen Verfahren wäre die – nach dem Zweck des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG gewollte – Verfolgung von Verstößen gegen den lauteren Wettbewerb durch Verbände gerade in den wirtschaftlich wichtigeren Fällen in schwerwiegender Weise behindert.

Eine schematische Anwendung des § 23a UWG ist dabei nicht angebracht. Bei einer Streitwertherabsetzung mit Rücksicht auf die Vermögens- und Einkommensverhältnisse eines Wettbewerbsvereins nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG darf nicht außer acht gelassen werden, daß es nicht dem Sinn des § 23a UWG entsprechen würde, das finanzielle Verfahrensrisiko eines Wettbewerbsvereins ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit zu begrenzen (vgl. dazu auch Teplitzky, a.a.O., Kap. 49 Rdn. 69).

Im vorliegenden Fall war – was von keiner Seite in Zweifel gezogen worden ist – davon auszugehen, daß der Streitwert ohne Anwendung des § 23a UWG auf 150 000,- DM festzusetzen gewesen wäre. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen war unter Berücksichtigung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Kl., wie sie dieser in seinem Antrag auf Streitwertherabsetzung nach § 23b UWG dargelegt hat, eine Streitwertherabsetzung auf 100 000,- DM vorzunehmen.