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Leitsätze des Verfassers

  1. Die Vorschrift des § 283b StGB, die keine Krisensituation voraussetzt, würde die Strafbarkeit in nicht vertretbarer Weise ausdehnen, wenn sie eine Auslegung erführe, nach der auch solche Verstöße gegen die Buchführungs- und Bilanzierungspflichten unter Strafe gestellt wären, die in keinerlei Zusammenhang zu dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Täters stehen.
  2. Die Vernachlässigung der Buchführungspflicht und das nicht rechtzeitige Aufstellen von Bilanz und Inventar wird nach der gesetzlichen Regelung erst durch das Hinzutreten der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 StGB zum mit Strafe bedrohten Unrecht, nämlich bei Zahlungseinstellung oder beim Eintritt eines der sonst in § 283 Abs. 6 StGB genannten Tatbestände, die den wirtschaftlichen Zusammenbruch kennzeichnen

 

BGH vom 20. Dezember 1978 – 3 StR 408/78

3 StR 408/78

Aus den Gründen:

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte es vorsätzlich unterlassen, die von ihm gemäß § 39 Abs. 2, § 41 HGB zu fertigenden Bilanzen für die Jahre 1970, 1971 und 1972 zu erstellen. Die Bilanzen hätte er von Mitte bis Ende 1973 fertigen können.

Die Strafkammer hat berücksichtigt daß die zur Tatzeit geltende Strafvorschrift über die Verletzung von Bilanzierungspflichten (§ 240 Abs. 1 Nr. 4 KO aF) nach Beendigung der Tat durch die § § 283 ff StGB ersetzt worden ist. Sie hat jedoch nicht rechtsfehlerfrei dargelegt daß die Voraussetzungen der vor und nach Beendigung der Tat geltenden Vorschriften erfüllt sind. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen Verletzung der Bilanzierungspflicht.

Voraussetzung für die Anwendung des § 240 Abs. 1 Nr. 4 KO ist – wie für die des § 239 KO aF (BGH, Urt. vom 23. August 1978 – 3 StR 11/78; Dreher, StGB 36. Aufl. § 239 KO mit Rechtsprechungsnachweisen; Dreher MDR 1978, 724) – eine Beziehung zwischen Bankrotthandlung und Konkurseintritt. Die Bankrotthandlung braucht allerdings nicht Ursache für den Eintritt des Konkurses oder der Zahlungseinstellung zu sein. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, daß am 22. Mai 1974 das Konkursverfahren über das Vermögen des Angeklagten eröffnet worden ist; über das in Österreich gelegene Vermögen des Angeklagten wurde es am 12. Juli 1974 eröffnet. Der bloß zeitliche Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und Konkurseintritt reicht jedoch nicht aus (Dreher MDR 1978, 724 bei Fußn. 8). Nach den Feststellungen hat die Verletzung der Bilanzierungspflicht aber bis zum Konkurs insofern fortgewirkt, als die Pflicht bei Konkurseröffnung noch nicht erfüllt war und deshalb die Bilanzierung vom Konkursverwalter nachgeholt werden mußte. Bei einer so engen Beziehung der Pflichtverletzung zu dem späteren Konkurs ist der von der Vorschrift geforderte Zusammenhang gewahrt.

Vom Landgericht unerörtert geblieben ist jedoch der Einwand der Verteidigung, der in den Urteilsfeststellungen eine Stütze findet, die Erstellung der Bilanzen habe einen erheblichen Kostenaufwand erfordert, der vom Angeklagten jedenfalls dann nicht habe aufgebracht werden können, wenn er zahlungsunfähig gewesen sei. Von der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte sei zahlungsunfähig gewesen, kann zwar, wie an anderer Stelle ausgeführt, nicht zu seinen Lasten ausgegangen werden. Zu seinen Gunsten ist hier jedoch anzunehmen, daß sich in der neuen Verhandlung die Auffassung der Strafkammer bestätigt. In einem solchen Fall kann bei der hier gegebenen besonderen Sachlage Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 Nr. 4 KO aF aber nur gegeben sein, wenn der – wie hier zu unterstellen – zahlungsunfähige Angeklagte in der Lage war, seine Bilanzierungsverpflichtungen zu erfüllen. Eine solche Prüfung enthält das angefochtene Urteil aber nicht.

Diesen Bedenken begegnet auch die Anwendung des § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB. Der Senat weist zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift noch ergänzend auf folgendes hin: Aus der Sicht der Strafkammer, die davon ausgeht, daß der Angeklagte am 1. April 1973 zahlungsunfähig gewesen ist und dies am 1. Juni 1973 erkannt hat, ist Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB und nicht nach der demgegenüber subsidiären Vorschrift des § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB gegeben. § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB stellt Verletzungen der Bilanzierungspflicht in der Krise, unter anderem im Falle der Zahlungsunfähigkeit, unter Strafe. § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB erfaßt demgegenüber Verstöße gegen die Bilanzierungspflichten im Vorraum oder bei Unkenntnis der Krisensituation des § 283 StGB (Dreher/ Tröndle, StGB 38. Aufl. § 283b Rdn. 1). Aber auch § 283b StGB verlangt einen nicht nur zeitlichen Zusammenhang zwischen Tathandlung und Zahlungseinstellung oder den Tatbeständen im Sinne des § 283 Abs. 6 StGB, die der Zahlungseinstellung gleichstehen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urt. vom 23. August 1978 – 3 StR 11/78) entfällt das Strafbedürfnis in den Fällen des § 283 StGB bei Überwindung der Krise (vgl. auch Tiedemann NJW 1977, 777, 783; Cramer in Schönke/Schröder, StGB 19. Aufl. § 283 Rdn. 59; Dreher/ Tröndle, aaO Rdn. 17 vor § 283). Die Vorschrift des § 283b StGB, die keine Krisensituation voraussetzt, würde die Strafbarkeit in nicht vertretbarer Weise ausdehnen, wenn sie eine Auslegung erführe, nach der auch solche Verstöße gegen die Buchführungs- und Bilanzierungspflichten unter Strafe gestellt wären, die in keinerlei Zusammenhang zu dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Täters stehen.

Der Gesetzgeber hat in dem zwar weiten, verfassungsrechtlich aber nicht zu beanstandenden § 283b StGB (vgl. Schlüchter, Der Grenzbereich zwischen Bankrottdelikten und unternehmerischen Fehlentscheidungen 1977 S. 130 f; MDR 1978, 977, 979; zweifelnd Dreher MDR 1978, 724) die Strafwürdigkeit der Verletzung von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten bejaht. Er hat aber davon abgesehen, die bloße Verletzung solcher Pflichten auch dann unter Strafe zu stellen, wenn es nicht zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch kommt. Die Vernachlässigung der Buchführungspflicht und das nicht rechtzeitige Aufstellen von Bilanz und Inventar wird nach der gesetzlichen Regelung erst durch das Hinzutreten der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 StGB zum mit Strafe bedrohten Unrecht, nämlich bei Zahlungseinstellung oder beim Eintritt eines der sonst in § 283 Abs. 6 StGB genannten Tatbestände, die den wirtschaftlichen Zusammenbruch kennzeichnen. Dem Sinn dieser Regelung würde eine Auslegung nicht entsprechen, die eine folgenlose und für einen späteren wirtschaftlichen Zusammenbruch völlig unerhebliche Verletzung von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten unter Strafe stellt, wenn nur die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 StGB eingetreten ist. Die demnach gebotene einschränkende Interpretation des § 283b StGB erfordert deshalb, daß er nur zur Anwendung kommt, wenn – wie bei § 240 KO aF – die Tathandlungen irgendeine Beziehung zu den in § 283 Abs. 6 StGB umschriebenen Tatbeständen gehabt haben, die den wirtschaftlichen Zusammenbruch kennzeichnen (vgl. Cramer in Schönke/Schröder aaO § 283b Rdn 7; Dreher MDR 1978, 724). Der Sachverhalt nötigt nicht zu der abschließenden Entscheidung, unter welchen allgemeinen Umständen ein solcher Zusammenhang zwischen Tathandlung und wirtschaftlichem Zusammenbruch des Täters zu verneinen ist. Ein Zusammenhang dergestalt, daß die Verletzung der Bilanzierungspflicht kausal für den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu sein hat, ist jedenfalls nicht zu fordern. Es reicht vielmehr – wie bei § 240 KO aF – aus, wenn die Bilanzierungspflicht bei Konkurseintritt noch nicht erfüllt ist und vom Konkursverwalter nachgeholt werden muß.

 

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Jüdemann Rechtsanwälte