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2006 wurde in den Geschäftsräumen von E.ON in München eine Nachprüfung durchgeführt, da der Verdacht wettbewerbswidriger Absprachen bestand. Da die Prüfung nicht fertig gestellt werden konnte, wurden die Unterlagen in einen von E.ON zur Verfügung gestellten Raum verbracht, verschlossen und ein Siegel angebracht. Am nächsten wurden Manipulationen an dem Siegel festgestellt. Daraufhin wurde ein Geldbuße v0n 38 Millionen EUR festgesetzt. Hiergegen wehrt sich E.ON.

Nunmehr schlägt der Generalanwalt in seinem Schlußantrag dem Gerichtshof vor, das Urteil des Gerichts zu dem von  E.ON Energie bei einer Nachprüfung in Wettbewerbssachen begangenen Siegelbruch teilweise aufzuheben, da das Gericht seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der von der Kommission wegen dieser Zuwiderhandlung verhängten Geldbuße nicht ausgeübt ausgeübt habe.

Üblicherweise folgt das Gericht dem Antrag.

 

 

PRESSEMITTEILUNG Nr. 86/12
Luxemburg, den 21. Juni 2012

Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-89/11 P
E.ON Energie AG / Kommission

Generalanwalt Bot schlägt dem Gerichtshof vor, das Urteil des Gerichts zu dem von  E.ON Energie bei einer Nachprüfung in Wettbewerbssachen begangenen Siegelbruch teilweise aufzuheben

Das Gericht hat nämlich seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Rahmen der Prüfung
der Verhältnismäßigkeit der von der Kommission wegen dieser Zuwiderhandlung verhängten
Geldbuße nicht ausgeübt

Die Kommission kann nach dem Unionsrecht gegen Unternehmen Geldbußen bis zu einem
Höchstbetrag von 1 % ihres Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig ein von der
Kommission bei einer Nachprüfung angebrachtes Siegel erbrochen haben.

Im Mai 2006 führte die Kommission in den Münchener Geschäftsräumen der E.ON Energie AG
eine Nachprüfung durch, um dem Verdacht der Beteiligung dieser Gesellschaft an
wettbewerbswidrigen Absprachen nachzugehen. Da die Nachprüfung nicht am selben Tag
abgeschlossen werden konnte, wurden die für eine nähere Prüfung ausgewählten Dokumente in
einen Raum gebracht, der der Kommission von E.ON Energie zur Verfügung gestellt worden war.
Die Tür des Raums wurde verschlossen und mit einem amtlichen Siegel der Kommission
versehen.

Die Siegel der Kommission bestehen aus einem Kunststoffaufkleber. Versucht man, sie zu
entfernen, reißen sie nicht, sondern auf ihrer Oberfläche erscheinen ,,VOID“-Schriftzüge. Bei seiner
Rückkehr am Morgen des zweiten Tages der Nachprüfung stellte das Nachprüfungsteam fest,
dass auf dem am Vorabend angebrachten Siegel ,,VOID“-Schriftzüge zu erkennen waren.

Mit Entscheidung vom 30. Januar 2008 setzte die Kommission infolgedessen gegen E.ON Energie
eine Geldbuße in Höhe von 38 Mio. Euro wegen Siegelbruch fest. E.ON Energie erhob beim
Gericht Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, die mit Urteil vom 15. Dezember 2010
abgewiesen wurde1.

E.ON Energie hat gegen das Urteil des Gerichts Rechtsmittel eingelegt.

In seinen heutigen Schlussanträgen weist Generalanwalt Bot zunächst darauf hin, dass das
Gericht hinsichtlich der von der Kommission festgesetzten Geldbußen über eine Befugnis zu
unbeschränkter Nachprüfung verfügt und insoweit seine eigene Beurteilung vornehmen muss.
Infolgedessen kann das Gericht die Geldbuße, wenn es über ihre Höhe zu befinden hat, aufheben,
herabsetzen oder erhöhen, wobei es weder an die Berechnungen der Kommission noch an den
Umfang der von dem betroffenen Unternehmen erhobenen Klage gebunden ist.

In diesem Zusammenhang hebt der Generalanwalt hervor, dass das Gericht bei der Ausübung
seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
beachten muss, der ein in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerter
allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist. Überdies hat auch der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte festgestellt, dass die Kontrolle einer Verwaltungssanktion es erfordert, dass der
Richter die Angemessenheit der Sanktion im Verhältnis zur begangenen Zuwiderhandlung unter
Berücksichtigung der relevanten Parameter, einschließlich der Verhältnismäßigkeit der Sanktion
selbst, detailliert prüft und analysiert und sie gegebenenfalls ersetzt.

Sodann führt der Generalanwalt aus, dass die Anwendung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Verfahren zur Durchführung der Wettbewerbsregeln bedeutet,
dass die gegen ein Unternehmen verhängte Geldbuße nicht außer Verhältnis zu den von der
Kommission verfolgten Zielen stehen darf und dass ihre Höhe in angemessenem Verhältnis zu der
Zuwiderhandlung stehen muss, wobei u. a. ihre Schwere zu berücksichtigen ist. Dabei muss das
Gericht alle für den Fall kennzeichnenden Gesichtspunkte prüfen, wie das Verhalten des
Unternehmens und die Rolle, die es bei der Begründung des wettbewerbswidrigen Verhaltens
gespielt hat, seine Größe, den Wert der betroffenen Waren oder auch den Gewinn, den es aus der
begangenen Zuwiderhandlung ziehen konnte, sowie die beabsichtigte Abschreckung und die
Risiken, die Zuwiderhandlungen dieser Art für die Ziele der Europäischen Union bedeuten.

Zum vorliegenden Fall stellt der Generalanwalt fest, dass das Gericht seine Befugnis zu
unbeschränkter Nachprüfung im Rahmen der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der
gegen E.ON Energie verhängten Geldbuße nicht in vollem Umfang ausgeübt hat.

Nach Ansicht von Herrn Bot hat das Gericht keine von der Beurteilung der Kommission
ausreichend unabhängige Beurteilung vorgenommen, sondern allein den von der Kommission
relativ abstrakt bestimmten Betrag übernommen.

Darüber hinaus stellt der Generalanwalt fest, dass das Gericht nicht über alle finanziellen
Kennzahlen, wie den genauen Umsatz von E.ON Energie, verfügte, die zur Beurteilung der
Verhältnismäßigkeit der von der Kommission gegen dieses Unternehmen verhängten Geldbuße
erforderlich sind. Der Generalanwalt hält jedoch die Kenntnis und Prüfung dieser finanziellen
Daten für unerlässlich, um die Höhe der Geldbuße richtig zu bewerten.

Zum einen erlauben es diese Daten nämlich, die Höhe der Sanktion, die tatsächlich gegen E.ON
Energie wegen des Siegelbruchs verhängt wurde, zu beurteilen, was ein im Rahmen der Prüfung
der Verhältnismäßigkeit der Geldbuße zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist. Zum anderen
ermöglichen sie es, die Höhe der Geldbuße zu ermessen, die wegen der wettbewerbswidrigen
Verhaltensweisen, die Gegenstand der Untersuchung der Kommission waren, gegen E.ON
Energie hätte verhängt werden können. Zudem können diese Informationen in einem Fall, in dem
die Obergrenze der wegen solcher Verhaltensweisen drohenden Geldbuße das Zehnfache der
möglichen Geldbuße wegen Siegelbruch beträgt, den beträchtlichen Vorteil verdeutlichen, den es
für E.ON Energie bedeuten konnte, das von der Kommission angebrachte Siegel zu brechen und
sich der aufbewahrten Dokumente zu bemächtigen.

Die fraglichen Daten sind auch unerlässlich, um eine hinreichende Abschreckungswirkung der
Geldbuße sicherzustellen und zu gewährleisten, dass die Sanktion insbesondere im Hinblick auf
die Wirtschaftskraft des betreffenden Unternehmens nicht unerheblich sein wird.

Schließlich hätte das Gericht nach Ansicht des Generalanwalts bei der Beurteilung der
Verhältnismäßigkeit der Geldbuße berücksichtigen müssen, dass es sich um eine fahrlässig
begangene Zuwiderhandlung handelte. Da Fahrlässigkeit bei der Festsetzung von Geldbußen
wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln einen mildernden Umstand darstellt, hätte das Gericht
nämlich prüfen müssen, ob sie nicht auch für die Bemessung der bei einem Siegelbruch
verhängten Geldbuße relevant ist.

Unter diesen Umständen schlägt Generalanwalt Bot dem Gerichtshof vor, das Urteil des
Gerichts aufzuheben, soweit es seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Rahmen
der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der von der Kommission gegen E.ON Energie
verhängten Geldbuße nicht ausgeübt hat. Da der Rechtsstreit seines Erachtens nicht vom
Gerichtshof entschieden werden kann, schlägt er ihm ferner vor, die Rechtssache an das Gericht
zurückzuverweisen, damit es über die Verhältnismäßigkeit der fraglichen Geldbuße entscheidet.

1
Urteil des Gerichts vom 15. Dezember 2010, E.ON Energie AG/Kommission, (T-141/08), vgl. auch Pressemitteilung
Nr. 120/10.

Quelle:    www.curia.europa.eu

 

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