030 88 70 23 80 kanzlei@ra-juedemann.de

Pressemeldung des BVerwG vom 9. Mai 2012:

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass sich eine befristete telekommunikationsrechtliche Entgeltgenehmigung nicht „auf andere Weise“ erledigt, wenn die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) nach erneuter Antragstellung für dieselben Leistungen und einen identischen Zeitraum höhere Entgelte genehmigt.

Um einen inhaltlichen Widerspruch zwischen den Genehmigungen zu vermeiden, der die Rechtswidrigkeit der neuen Genehmigung zur Folge hätte, muss die Behörde die frühere Genehmigung deshalb nach den für die Rücknahme bzw. den Widerruf belastender Verwaltungsakte geltenden Regeln aufheben. Im Rahmen der hierbei zu treffenden Ermessensentscheidung ist neben dem Anspruch des regulierten Unternehmens auf die Erhebung kostendeckender Entgelte regelmäßig auch der Gesichtspunkt der Kalkulations- und Planungssicherheit der Wettbewerber als Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen.

Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass die Deutsche Telekom AG als Betreiberin eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes durch Regulierungsverfügung der Bundesnetzagentur verpflichtet wurde, anderen Unternehmen Zugang zu den Abschlusssegmenten ihrer Mietleitungen auf der Vorleistungsebene (sog. Carrier-Festverbindungen) zu gewähren; die dafür verlangten Entgelte wurden der Genehmigungspflicht unterworfen. Im Oktober 2008 genehmigte die Bundesnetzagentur für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Oktober 2010 Entgelte mit der Maßgabe, dass für Carrier-Festverbindungen, deren beide Enden sich in demselben Anschlussbereich befinden, die Entgeltposition „Verbindungslinie“ nicht erhoben werden darf. Die Deutsche Telekom AG hat hiergegen Anfechtungsklage erhoben. Außerdem beantragte sie in Bezug auf denselben Zeitraum die Genehmigung höherer Entgelte für diejenigen innerörtlichen Verbindungslinien, bei denen sich beide Kundenstandorte in unterschiedlichen Anschlussbereichen befinden. Hierauf genehmigte die Bundesnetzagentur im August 2009 befristet bis zum 31. Oktober 2010 Entgelte, die im Wesentlichen über den zuvor genehmigten Tarifen liegen. Den gegen die neue Entgeltgenehmigung erhobenen Anfechtungsklagen zweier Wettbewerber der Deutschen Telekom AG hat das Verwaltungsgericht stattgegeben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der Deutschen Telekom AG jeweils zurückgewiesen. Die angefochtene Entgeltgenehmigung der Bundesnetzagentur ist rechtswidrig. Sie steht zu der früheren Entgeltgenehmigung, die nicht durch die Änderung des Entgeltantrags gegenstandslos geworden ist, in einem inhaltlichen Widerspruch, da sie in Bezug auf denselben Zeitraum für dieselben Leistungen andere Entgelte genehmigt. Diesen Widerspruch hätte die Bundesnetzagentur nur durch eine rechtmäßige Rücknahme bzw. einen Widerruf der früheren Entgeltgenehmigung verhindern können. Das ihr insoweit zustehende Ermessen hat sie jedoch nicht ausgeübt. Es hat sich auch nicht nach den Umständen des konkreten Einzelfalls dahin verdichtet, dass nur die Rücknahme der früheren Entgeltgenehmigung ermessensfehlerfrei war. Zwar war die Deutsche Telekom AG ohne die Aufhebung bis zum Ablauf der Geltungsdauer der früheren Entgeltgenehmigung und damit für einen Zeitraum von ca. 15 Monaten daran gehindert, kostendeckende Entgelte für Carrier-Festverbindungen zu erheben, deren Kundenstandorte sich in unterschiedlichen Anschlussbereichen eines Ortsnetzes befinden. Die Bundesnetzagentur hätte jedoch im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens klären müssen, ob das Vertrauen der Wettbewerber auf den Bestand der Entgeltgenehmigung schutzwürdig ist und welchem Gewicht diesem Schutz im Verhältnis zu dem Aufhebungsinteresse des regulierten Unternehmens zukommt.

BVerwG 6 C 3.11 und 4.11 – Urteile vom 9. Mai 2012

Vorinstanzen:
BVerwG 6 C 3.11: VG Köln, 1 K 6275/09 – Urteil vom 22. April 2010 –

BVerwG 6 C 4.11:
VG Köln, 1 K 6207/09 – Urteil vom 22. April 2010 –