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Beschluss vom 27. Oktober 2011
2 BvE 8/11

Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise im Gebiet der Europäischen 
Währungsunion schufen deren Mitgliedstaaten den „Euro-Rettungsschirm“, 
in dessen Rahmen eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft, 
die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gegründet worden 
ist. Diese Zweckgesellschaft erhält Garantien von den

Euro-Mitgliedstaaten, um die Mittel an den Kapitalmärkten aufzunehmen, 
die sie für überschuldete Mitgliedstaaten bereitstellt. Mit dem Gesetz 
zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen 
Stabilisierungsmechanismus (Stabilisierungsmechanismusgesetz - 
StabMechG) vom 22. Mai 2010 legte der Bundesgesetzgeber auf nationaler 
Ebene die Voraussetzungen für die Leistung finanziellen Beistands fest. 
Über die Einzelheiten informieren insoweit die Pressemitteilungen
 Nr. 37/2011 vom 9. Juni 2011 und Nr. 55/2011 vom 7. September 2011, die auf 
der Homepage des Bundesverfassungsgerichts eingesehen werden können. 
Im Mai/Juli 2011 kamen die Mitgliedstaaten überein, die vereinbarte 
maximale Darlehenskapazität der EFSF von 440 Milliarden Euro in vollem 
Umfang bereitzustellen und die EFSF mit weiteren, flexibleren 
Instrumenten zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise und der gestiegenen 
Ansteckungsgefahren unter den Euro-Mitgliedstaaten auszustatten. Die 
europäischen Vereinbarungen wurden in Deutschland durch das am 14. 
Oktober 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des 
Stabilisierungsmechanismusgesetzes umgesetzt, das nunmehr einen auf rund 
211 Milliarden Euro erhöhten Gewährleistungsrahmen der Bundesrepublik 
Deutschland vorsieht, die erweiterten Instrumente der EFSF definiert und 
die Voraussetzungen ihres Einsatzes festlegt. Zudem wurden die 
Beteiligungsrechte des Bundestages neu geregelt. Danach bedürfen 
Entscheidungen des deutschen Vertreters in der EFSF grundsätzlich der 
Zustimmung des Bundestages. In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit und 
Vertraulichkeit soll dieses Beteiligungsrecht jedoch gemäß § 3 Abs. 3 
StabMechG von einem neu zu schaffenden Gremium ausgeübt werden, deren 
Mitglieder aus den gegenwärtig 41 Mitgliedern des Haushaltsausschusses 
zu wählen sind. Bei Notmaßnahmen zur Verhinderung von 
Ansteckungsgefahren soll nach der Neuregelung regelmäßig besondere 
Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit vorliegen. In allen übrigen Fällen 
kann beides von der Bundesregierung geltend gemacht werden. Hiergegen 
steht dem Haushaltsausschuss ein Widerspruchsrecht zu, das nur mit 
Mehrheit ausgeübt werden kann, um wieder eine Zustimmungskompetenz des 
gesamten Bundestages zu erreichen. Darüber hinaus können nach § 5 Abs. 7 
StabMechG die Unterrichtungsrechte des Bundestages auf das Gremium 
übertragen werden. 

Am 26. Oktober 2011 hat der Bundestag die neun Mitglieder des Gremiums 
gewählt (sogenanntes 9-er Sondergremium). 

Die Antragsteller sind Abgeordnete des Deutschen Bundestages und wenden 
sich im Wege des Organstreitverfahrens verbunden mit einem Antrag auf 
Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die mit der Gesetzesänderung 
eingeführte Neuregelung der Beteiligung des Bundestages. Sie sehen sich 
durch die Delegation der parlamentarischen Haushaltsverantwortung auf 
das 9-er Sondergremium in ihrem Abgeordnetenstatus gemäß Art. 38 Abs. 1 
Satz 2 GG verletzt. 

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat im Wege der 
einstweiligen Anordnung entschieden, dass bis zur Entscheidung im 
Organstreitverfahren die Beteiligungsrechte des Bundestages nicht durch 
das neu konstituierte Gremium wahrgenommen werden dürfen. 

Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderliche 
Folgenabwägung ergibt, dass den Antragstellern gewichtige Nachteile 
entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge und sich das 
Organstreitverfahren später als begründet erwiese. Sie könnten 
zwischenzeitlich in ihren Statusrechten als Abgeordnete aus Art. 38 Abs. 
1 Satz 2 GG irreversibel verletzt werden. Denn bis zur Entscheidung in 
der Hauptsache könnte das Sondergremium Entscheidungen treffen, die die 
Statusrechte der Antragsteller im Hinblick auf die haushaltspolitische 
Gesamtverantwortung des Bundestages berühren, so etwa indem es die 
Zustimmung zu einer Notmaßnahme der EFSF auf Antrag eines 
Mitgliedstaates der Euro-Zone erteilte. Diese mögliche Rechtsverletzung 
wäre durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der 
Hauptsache nicht mehr rückgängig zu machen, da die Bundesrepublik 
Deutschland nach erfolgter Zustimmung völkerrechtlich bindende 
Verpflichtungen eingegangen wäre. Demgegenüber wiegen die Nachteile 
weniger schwer, die entstünden, wenn das Bundesverfassungsgericht die 
begehrte einstweilige Anordnung erließe, in der Hauptsache aber dem 
Antrag im Organstreitverfahren der Erfolg zu versagen wäre. Die 
Nichtausübung der Mitwirkungs- und Unterrichtungsrechte durch das 
Sondergremium bis zur Hauptsacheentscheidung führte nicht dazu, dass die 
erforderliche Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in diesem Zeitraum 
nicht gewährleistet wäre. Vielmehr kann die Bundesregierung jederzeit 
notwendige Zustimmungen gegenüber dem Deutschen Bundestag beantragen, 
über die dann das Plenum entscheidet.