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Nach Ansicht des Advocat General (AG) des EuGH ist das Wort „bekömmlich“ eine gesundheitsbezogene Angabe und damit generell bei Weinen verboten. Nach Ansicht des GA erfasse der  Begriff ,,gesundheitsbezogene Angabe“ im Sinne der Verordnung Nr. 1924/20061 auch Angaben, die eine vorübergehende positive Wirkung auf den körperlichen Zustand zum Ausdruck bringen, wie etwa eine Wirkung, die auf die Zeitspanne des Konsums und der Verdauung des Lebensmittels beschränkt ist, einschließlich solcher Angaben, die zum Ausdruck bringen, dass wegen des verringerten Gehalts eines Stoffes die schädliche Wirkung des betreffenden Lebensmittels auf das körperliche Wohlbefinden geringer ist als gewöhnlich bei vergleichbaren Lebensmitteln.

PRESSEMITTEILUNG Nr. 37/12

Luxemburg, den 29. März 2012
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-544/10

Deutsches Weintor eG / Land Rheinland-Pfalz

Presse und Information

Nach Ansicht des Generalanwalts Jan Mazák ist es verboten, für einen Wein mit dem Hinweis auf eine vorübergehend vorteilhafte Wirkung für den Magen zu werben Dies gilt auch für Angaben, die zum Ausdruck bringen, dass die schädliche Wirkung des Weins auf das körperliche Wohlbefinden geringer ist als gewöhnlich bei Wein dieser Art Angesichts des positiven Image, das einem Lebensmittel oftmals durch eine gesundheitsbezogene Angabe verliehen wird, und der bestärkenden Wirkung, die solche Angaben daher auf den Verbraucher haben können, ist es das Ziel der Verordnung Nr. 1924/20061, den Verbraucher vor Angaben, die irreführend und/oder unwahr sind, zu schützen. In Bezug auf Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent enthält Art. 4 Abs. 3 der Verordnung, und zwar unabhängig davon, ob die zum Ausdruck gebrachte positive Wirkung wahr und wissenschaftlich abgesichert ist, ein generelles Verbot der Verwendung gesundheitsbezogener Angaben.

Wegen der mit dem Alkoholkonsum verbundenen Gefahren von Abhängigkeit und Missbrauch besteht hier das weiter reichende Ziel offenkundig darin, jegliche positive gesundheitsbezogene Begleitvorstellung, die irgendwie geeignet sein könnte, zum Konsum alkoholischer Getränke anzuregen, zu vermeiden.
Zwischen der Deutschen Weintor eG, einer Winzergenossenschaft aus Rheinland-Pfalz, und den staatlichen Behörden ist es aufgrund einer Meinungsverschiedenheit zu einem Rechtsstreit gekommen. Die Behörden beanstanden die Verwendung der Bezeichnung ,,bekömmlich“ für von der Genossenschaft erzeugten Wein. Sie sind der Ansicht, dass diese Bezeichnung in Verbindung mit dem Hinweis auf eine sanfte Säure eine gesundheitsbezogene Angabe und damit verboten sei. Im vorliegenden Fall geht es um den Wein der Rebsorten Dornfelder und grauer/weißer Burgunder, der als ,,Edition Mild“ mit dem Zusatz ,,sanfte Säure“ vermarktet wird. Auf dem Etikett wird u. a. angegeben: ,,Zum milden Genuss wird er durch Anwendung unseres besonderen LO3-Schonverfahrens zur biologischen Säurereduzierung“. Die Halsschleife der Weinflaschen trägt den Aufdruck ,,Edition Mild bekömmlich“. In der Preisliste wird der Wein als ,,Edition Mild ¬ sanfte
Säure/bekömmlich“ bezeichnet. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) auf die Klage der Deutsches Weintor eG dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen nach der Auslegung und gegebenenfalls der Gültigkeit der Verordnung vorgelegt.
Generalanwalt Jan Mazák hat in seinen Schlussanträgen vom heutigen Tage zunächst hervorgehoben, dass der Gerichtshof im Rahmen dieses Vorabentscheidungsersuchens keine Entscheidung darüber zu treffen hat, was mit der Beschreibung von Wein als ,,bekömmlich“ in
Verbindung mit einem Hinweis auf seine sanfte Säure tatsächlich gemeint ist oder ob eine derartige Beschreibung eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung darstellt. Der Generalanwalt     weist    jedoch   darauf   hin,    dass   nach    den    Ausführungen    des
Bundesverwaltungsgerichts diese Beschreibung (entgegen der Ansicht der Deutsches Weintor eG) vom Verbraucher nicht bloß als ein Hinweis auf das allgemeine Wohlbefinden oder auf allgemeine Eigenschaften des beschriebenen Weins, wie etwa den Geschmack, verstanden werde, sondern als ein Hinweis auf seine sanfte Säure und damit auf die besonders sanfte Wirkung des Weins für
den Magen und somit auf seine Verdaulichkeit.
Der Generalanwalt sieht jedoch in den Bestimmungen der Verordnung keine Grundlage oder überzeugenden Grund dafür, dass auch Dauer oder Nachhaltigkeit der (positiven) Wirkung des beworbenen Nahrungsmittels auf die körperliche Verfassung oder die Körperfunktionen
konstitutive Bestandteile des Begriffs ,,gesundheitsbezogene Angabe“ im Sinne der Verordnung sind oder sein sollten. Es würde den Zielen der Verordnung zuwiderlaufen, den Begriff ,,gesundheitsbezogene Angabe“ so eng auszulegen, dass Angaben über vorübergehende positive
Wirkungen auf den körperlichen Zustand unerfasst blieben. Dadurch könnten eine ganze Reihe von Produkten und die dazugehörigen Angaben aus dem Schutzbereich der Verordnung herausfallen, die, obwohl sie eine positive, wenn auch vorübergehende physiologische Wirkung zum Ausdruck bringen, dennoch geeignet sind, zum Konsum der betreffenden Nahrungsmittel anzuregen. Eine Unterscheidung würde auch zu zusätzlichen Abgrenzungsproblemen führen, nämlich bei der Frage, bis wann eine angegebene Wirkung auf die Körperfunktionen vorübergehend ist und ab wann sie längerfristig oder nachhaltig ist.

Nach Ansicht des Generalanwalts bedeutet der Umstand, dass der Begriff voraussetzt, dass eine positive oder vorteilhafte Wirkung für die Gesundheit zum Ausdruck gebracht oder suggeriert wird, jedoch nicht, dass dazu die Behauptung einer tatsächlichen Verbesserung der allgemeinen gesundheitlichen Verfassung oder einer tatsächlichen Heilwirkung, ähnlich derjenigen von Arzneimitteln, notwendig ist. Unter den Begriff fällt auch eine Werbung, wonach die angegebene positive physiologische Wirkung nur in einem relativen Vorteil liegt, also auch in einem Vorteil, der dem Umstand zuzuschreiben ist, dass ein bestimmtes Lebensmittel lediglich weniger nachteilig
oder weniger schädlich für die Körperfunktionen ist als vergleichbare Lebensmittel. Nimmt man die von der Deutsches Weintor eG vermarkteten Weine, so kann die Tatsache, dass eine bessere Verdaulichkeit suggeriert wird, zweifellos nicht nur dazu führen, dass sich Verbraucherpräferenzen von anderen Getränken dieser Art, die im Übrigen vergleichbar sind, wegverlagern; es ist auch denkbar, dass solche Angaben den Konsum des betreffenden Getränks in absoluten Zahlen fördern und sogar neue Verbraucher, insbesondere solche mit einem empfindlichen Magen, anziehen.
Der Generalanwalt kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Begriff ,,gesundheitsbezogene Angabe“ im Sinne der Verordnung auch Angaben erfasst, die eine vorübergehende positive Wirkung auf den körperlichen Zustand zum Ausdruck bringen, wie etwa eine Wirkung, die auf die
Zeitspanne des Konsums und der Verdauung des Lebensmittels beschränkt ist, einschließlich solcher Angaben, die zum Ausdruck bringen, dass wegen des verringerten Gehalts eines Stoffes die schädliche Wirkung des betreffenden Lebensmittels auf das körperliche Wohlbefinden geringer ist als gewöhnlich bei vergleichbaren Lebensmitteln.

Darüber hinaus hat der Generalanwalt festgestellt, dass das in der Verordnung vorgesehene generelle Verbot gesundheitsbezogener Angaben der vorliegenden Art bei alkoholischen Getränken wie Wein mit der Berufsfreiheit und der unternehmerischen Freiheit, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, vereinbar ist.

1
Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert-
und gesundheitsbezogene Angaben (ABl. L 404, S. 9) in der durch die Verordnung (EG) der Kommission vom 9. Februar
2010 (ABl. L 37, S. 16) geänderten Fassung.
Quelle:     www.curia.europa.eu